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Wie funktioniert Behavioral Design in der Praxis?

Letztes Jahr haben wir unseren Behavioral Design Workshop lanciert. Ziel des Workshops ist es, interdisziplinäre Teams innerhalb von drei Stunden in die Grundprinzipien angewandter Verhaltensökonomie einzuführen. Natürlich haben wir das Produkt zuerst rigoros getestet, unter anderem an der TopSoft, am World Usability Day 2019 und nach Einladung von UX Schweiz an einem Last Thursday Talk. 2020 konnten wir den Workshop mit mehr als zehn Gruppen durchführen. Mit grossem Erfolg! Thematisch passen wir das Format jeweils den konkreten Begleitumständen der Teilnehmenden an und verbessern es dabei laufend.

3. März 2021
Remo Bebié Gut, MSc, Experte Verhaltensökonomie, Consultant

Experte Verhaltensökonomie, Consultant

Elizabeth Immer, MPhil, Expertin Verhaltensökonomie, Consultant

Expertin Verhaltensökonomie, Consultant

Unsere Erfahrungen in der Projektarbeit der vergangenen drei Jahre haben uns dazu inspiriert, ein Workshop-Format zu entwickeln, mit dem gemischte Teams aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen innerhalb kurzer Zeit in die Verhaltensökonomie eintauchen und das Potential dieser Wissenschaft im eigenen Kontext entdecken können. Das Format mischt Elemente aus der Design-Sprint Technik mit unserem verhaltensökonomischen Analyse-Ansatz.

Die Erfahrung zeigt, dass die einzelnen Teilnehmer aus dem Workshop ganz unterschiedliche Erkenntnisse mitnehmen. Zwei Dinge bleiben jedoch allen Teilnehmer*innen:

  1. Eine Sensibilisierung für die breite Anwendbarkeit verhaltensökonomischer Prinzipien, und
  2. ein klares, von den Teilnehmern selbst erarbeitetes Konzept zur Anwendung dieser Prinzipien im eigenen Kontext
     
Sieben Schritte in drei Stunden

Parallel zum Workshop haben wir einen Behavioral Design Canvas entwickelt. Damit durchlaufen die Workshop-Teilnehmer*innen sieben Stationen mit jeweils dazwischen geschalteten Vertiefungs- und Lerneinheiten.  Die sieben Stationen sind:

  1. Ziel und Zielverhalten definieren: Die Unterscheidung dieser beiden Begriffe ist zentral und fällt vielen Teilnehmer*innen anfangs schwer. Ziel: Was wollen wir als Unternehmen erreichen?   Zielverhalten: Was müssen die User, Kund*innen oder Mitarbeiter*innen tun, damit wir unser Ziel erreichen?  
     
  2. Business Impact: Warum lohnt es sich, in dieses Ziel zu investieren und wie messen wir unseren Erfolg?  
     
  3. Verhaltenstreiber identifizieren: Wie sieht die aktuelle Entscheidungsumgebung aus? Was hält die User, Kund*innen oder Mitarbeiter*innen vom Zielverhalten ab? Wie könnten wir sie motivieren, das Zielverhalten zu zeigen?  
     
  4. Priorisierung: Welche Verhaltenstreiber haben den höchsten Einfluss auf das Zielverhalten und wie können wir diese Treiber verändern? Wir suchen low hanging fruits mit grosser Wirkung.  
     
  5. Behavioral Insights identifizieren: Welche Biases und Verzerrungen kennen wir aus der Forschung, die unsere Verhaltenstreiber beeinflussen? Weil die Literatur dazu sehr breit ist, treffen wir als Experten jeweils eine kontextabhängige Vorauswahl, die wir dann an den Workshop in Form von Insight-Karten mitbringen.  
     
  6. Lösungsskizze: Wie könnten Lösungen für unser Problem konkret aussehen? Alle Teilnehmer arbeiten individuell. Danach werden die besten Elemente aus allen Ideen in einem gemeinsamen Sketch integriert. Dieses Vorgehen verhindert «groupthink» und führt zu besseren Lösungen.  
     
  7. Testen und Umsetzungsplan: Das ist die kritische Phase in vielen Projekten. Wir müssen verhindern, dass die gewonnenen Erkenntnisse in einer Schublade verschwinden. Deshalb erarbeiten wir noch im Workshop einen Vorgehensplan, wie das Gelernte in das Produkt- oder Prozessdesign integriert und die Resultate getestet werden können.

Den Behavioral Design Workshop haben wir mittlerweile mit über zehn Produktteams unter unterschiedlichen Bedingungen durchgeführt. Einmal war es im Rahmen eines firmenweiten Weiterbildungsprogramms, ein anderes Mal an einem Remote-Jahresendevent und diverse Male im Rahmen von Kundenprojekten.

Viele der hochmotivierten Teams, die wir coachen durften, arbeiten nun an der Umsetzung der Lösungsskizzen und gaben uns immer wieder ein besonders erfreuliches Feedback: Dass sie dabei auch viel Spass haben.
 

Behavioral Design vs. Behavioral Marketing

Einige Firmen sehen das Potential von Verhaltensökonomie vor allem im Marketing. Unser Ansatz geht aber weit über Behavioral Marketing hinaus. In unserem Workshop geht es nicht primär um die Positionierung und Vermarktung von Produkten mittels verhaltensökonomischer Steuerung des Kundenverhaltens. Vielmehr geht es um die Anwendung von Erkenntnissen aus der Verhaltensökonomie im Produkt- und Prozessdesign. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von «Behavioral Design».

In den vergangenen Jahren durften wir so verschiedenen Unternehmen bei der Entwicklung von Produkten und Prozessen helfen. Mit Erfolg und grossem finanziellen Impact, wie beispielsweise im Projekt «Fresh», das wir mit der Swisscom realisiert haben. Dabei haben auch wir viel gelernt und unser Vorgehen stetig weiterentwickelt.

Hier sind die fünf wichtigsten Erkenntnisse, die wir im Workshop-Format berücksichtigt haben:

  1. Produktteams sind in der Regel heterogener als Marketingteams. Es müssen mehr Leute mit unterschiedlichen Rollen am gleichen Strick ziehen. Zu Beginn eines Projekts muss man deshalb eine gemeinsame Basis schaffen.  
     
  2. Verhaltensökonomische Erkenntnisse müssen bereits in der Ideen-, Design- und Prototyping-Phase einfliessen und nicht erst in der Vermarktung des Produkts. Man darf sich nicht zu stark an bereits existierenden Lösungen orientieren. Wenn wir nämlich die Suche nach Problemen durch die Linse des Gewohnten filtern, laufen wir Gefahr, wichtige, aber nicht offensichtliche Punkte außer Acht zu lassen, weil sie nicht zu dem passen, wonach wir suchen.  
     
  3. Für die Identifikation der richtigen verhaltensökonomischen Interventionen ist ein systematisches Vorgehen zwingend.  
     
  4. Die Verhaltensökonomie bietet uns viele Einsichten, mit denen wir Hypothesen formulieren können. Diese sind die Basis für vielversprechende Konzepte und Prototypen, die wir in den Workshops erarbeiten. Die Konzepte und Prototypen sollten unbedingt auch in einer Form getestet werden, um zu verifizieren, dass sie im gegebenen Kontext auch wie erwartet wirken.
     
  5. Um ein Business-Ziel zu erreichen, kann das Verhalten interner Stakeholder genauso wichtig sein wie das Verhalten von Nutzer*innen. Das ist bei der Definition des Zielverhaltens essenziell: Wir müssen uns immer fragen, wer sein Verhalten ändern muss, damit wir zum Ziel kommen. Es sind nicht immer nur die User. Viele unserer Projekte erreichten auch starke Veränderungen in der Arbeitsweise und im Verhalten der Mitarbeiter*innen. 
     
Relevanz wird weiter steigen

Schweizer Unternehmen sehen grundsätzlich viel Potential in der Anwendung von Konzepten aus der Verhaltensökonomie. Nur wenige wissen jedoch, wie sie die Erkenntnisse aus diesem Wissenschaftsbereich in der Praxis auch tatsächlich anwenden können. Das zeigt eine Studie der ZHAW , die 2020 erschienen ist. Die Studie, in der Führungskräfte und Marketingverantwortliche von über 120 Schweizer Unternehmen befragt wurden, zeigt unter Anderem:

  • Dass lediglich 11% der befragten Unternehmen Konzepte aus der Verhaltensökonomie systematisch anwenden.
     
  • 70% der Befragten, die keine internen Kompetenzen in Verhaltensökonomie haben, dieses Wissen gerne in Zukunft anwenden würden.
     
  • Im Schnitt sehen die Unternehmen in der Verhaltensökonomie ein Steigerungspotential von 13% beim Umsatz und 9% beim Gewinn.
     
  • Als wirksamste Massnahme, um Verhaltensökonomie im Unternehmen nutzen zu können, sehen die Befragten gezielte Schulungen und die dadurch erhöhte Themensensibilisierung.
     
Fazit

Mit unserem Behavioral Design Workshop haben wir den Nerv der Zeit getroffen. Das Format eignet sich gut, um die in der Praxis noch fehlende Sensibilisierung für das Thema Verhaltensökonomie zu fördern und Produktteams zu befähigen, beim Produkt- oder Prozessdesign die verhaltensökonomischen Prinzipien von Beginn weg, zusammen mit Usability und User Experience, zu berücksichtigen.

 

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Remo Bebié Gut, MSc, Experte Verhaltensökonomie, Consultant

Experte Verhaltensökonomie, Consultant

Verhaltensökonom und Kommunikationsexperte. Effizienter Anpacker und pfeilschneller Velo-Pendler. Bringt bei den (Kunden der) Ergonomen die Verhaltensökonomie in die Produktentwicklung und hilft bei der Kommunikation.

Elizabeth Immer, MPhil, Expertin Verhaltensökonomie, Consultant

Expertin Verhaltensökonomie, Consultant

Verhaltensökonomin. Ambassador für Behavioral Customer Experience (BCX) und Chief Enabling Officer der Ergonomen. Expertin für Modellierung und Messung des menschlichen Verhaltens. Analysiert Verhaltenstreiber und Kundenwünsche. Bringt Leute dazu das zu machen, was sie eigentlich wollen.

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