A
zurück zum Blog

A wie Affordance

Hübsch sind sie nicht, die deutschen Übersetzungen «Angebotscharakter» oder «Aufforderungscharakter». Aber sie zeigen anschaulich, worum es bei Affordance geht: Der Begriff steht nämlich für die Gebrauchseigenschaft, die ein Objekt ausstrahlt und für die Handlungsaufforderung, die es vermittelt. In der analogen Welt heisst das etwa: Einen Schalter erkennen wir als ein Ding, dass gedrückt oder umgelegt werden kann – oder eben will – um etwas ein- oder auszuschalten. Ihn zu kraulen gehört eher nicht zu seiner Affordance. Es geht also um die Fähigkeit eines Objekts, sich selbst zu erklären, und das ist speziell bei der Gestaltung von virtuellen Benutzeroberflächen ja ein ewiges Thema.

18. Juli 2022
Dr. Christopher H. Müller, Inhaber, Expert Consultant

Inhaber, Expert Consultant

Theorie

Hübsch sind sie nicht, die deutschen Übersetzungen «Angebotscharakter» oder «Aufforderungscharakter». Aber sie zeigen anschaulich, worum es bei Affordance geht: Der Begriff steht nämlich für die Gebrauchseigenschaft, die ein Objekt ausstrahlt und für die Handlungsaufforderung, die es vermittelt. In der analogen Welt heisst das etwa: Einen Schalter erkennen wir als ein Ding, dass gedrückt oder umgelegt werden kann – oder eben will – um etwas ein- oder auszuschalten. Ihn zu kraulen gehört eher nicht zu seiner Affordance. Es geht also um die Fähigkeit eines Objekts, sich selbst zu erklären, und das ist speziell bei der Gestaltung von virtuellen Benutzeroberflächen ja ein ewiges Thema.

Realität

Nun ist das mit der Affordance aber etwas kompliziert. Sie ist einem Objekt meist nicht in die Wiege gelegt, sondern das Resultat eines Lernprozesses. Und es gibt keine Garantie dafür, dass die Nutzerschaft sich dem unterziehen will. Nehmen wir ein gelungenes Beispiel aus dem Webdesign: Heute erwarten fast alle von uns, dass sie via Klick aufs Logo oben links zur Startseite zurückgelangen. Das war nicht immer so. Früher gab es dafür den Home-Button, und noch in den frühen 2010er-Jahren wurde in einem UX-Blog gefragt: «Do users know, that clicking the logo on a website will take them to the homepage?» Man war sich da durchaus noch nicht einig.

In diesem Fall ist also im Lauf der Zeit ein rein grafisches Objekt erfolgreich zu einem Navigationselement mutiert. Das funktioniert aber bei weitem nicht immer, wie ein Blick in die Nutzerforen zeigt.

Fazit

Auch hier ist es wie so oft im UX-Design: Wer glaubt, es sich aufgrund seiner Marktposition, seiner Genialität oder seiner Kühnheit leisten zu können, mag versuchen, Affordancen neu zu schaffen oder umzudeuten. Gelegentlich kann daraus etwas Richtungsweisendes entstehen, oft dürfte es indessen ein Flopp werden. Allen, die sichergehen wollen, sei deshalb geraten, die Dinge so einzusetzen, wie es die Massen erwarten.

Veröffentlicht in: Netzwoche Ausgabe 10, 2022

Nehmen Sie mit uns Kontakt auf.

Wir freuen uns, von Ihnen zu hören.

Dr. Christopher H. Müller, Inhaber, Expert Consultant

Inhaber, Expert Consultant

Dr. Christopher H. Müller, Gründer und Inhaber der Ergonomen Usability AG, promovierte am Institut für Hygiene und Arbeitsphysiologie der ETH Zürich. Er ist seit mehr als 22 Jahren Experte für Usability und User Experience. Sein ausgeprägtes Einfühlungsvermögen ermöglicht es ihm, rasch die Bedürfnisse und Perspektiven der Kunden zu verstehen. Mit viel Kreativität und Mut unterstützt er seine Kunden in Digitalisierungsvorhaben und bei der Optimierung von Produkten, Dienstleistungen oder Prozessen. Er verfolgt einen praxisorientierten Ansatz und entwickelt massgeschneiderte Lösungen, die effektiv umgesetzt werden können. Dr. Christopher H. Müller ist Kolumnist in der Netzwoche. Weitere Engagements sind unter anderem Stiftungsrat bei der Stiftung Zugang für alle, Mitglied in zwei Swico-Beiräten und Co-Präsident der Regionalkonferenz Nördlich Lägern.

Kontakt