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Das Verhalten von Kunden verstehen und nachhaltig Wirkung erzielen

Mehr denn je sind Firmen genötigt, die Bedürfnisse ihrer Kundinnen und Kunden ins Zentrum zu stellen – und das ist auch gut so. Die Nutzerzentrierung ist das Differenzierungsmerkmal in gesättigten und stark umkämpften Märkten. ­Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie helfen Unternehmen dabei, Angebote und Dienstleistungen auf die Bedürfnisse der Nutzer und bezahlenden Kunden auszurichten.

11. April 2022
Gian-Luca Gubler, MSc, Consultant

Consultant

Sandro Zuppiger, MSc, Consultant

Consultant

Menschen treffen pro Tag rund 20 000 Entscheidungen – manchmal kleine, manchmal grosse. Gemäss dem Modell des Homo ­Oeconomicus fussen diese Entscheidungen auf der Nutzenmaximierung und sind rational begründbar. Tatsächlich ist dies jedoch oft nicht der Fall. Wie entscheiden sich Menschen und weshalb handeln Menschen, wie sie handeln? Mit der Beantwortung dieser und weiterer Fragen befasst sich die Verhaltensökonomie. Das noch junge Forschungsgebiet stützt sich auf Erkenntnisse aus Wirtschaft, Psychologie und Sozialwissenschaften und ergründet, welche Faktoren die Entscheidungsfindung beeinflussen.

In der Wirtschaft stösst die angewandte Verhaltensökonomie auf offene Ohren, vor allem in den Bereichen Marketing und (digitales) Design. Das Interesse ist naheliegend: Verstehen Unternehmen die psychologischen und soziologischen Beweggründe ihrer Kundschaft, können sie auch das Kauf- und Nutzungsverhalten besser nachvollziehen und ihre Angebote und Dienstleistungen entlang der Motivation ihrer Kunden ausrichten. Dies erreichen sie zum Beispiel mittels durchdachter und auf statistischer Evidenz basierender Gestaltung der Angebote und Nutzenkommunikation. Was entsteht ist eine Win-win-Situation, die den beiderseitigen Erfolg von Unternehmen und Kunden nachhaltig steigert.

Jeder Mensch hat seine Regeln

Die Verhaltensökonomie konstatiert Folgendes: Menschen entscheiden nicht auf Grundlage vorhandener Informationen und logischer Schlussfolgerungen. Sie verlassen sich vielmehr auf Heuristiken beziehungsweise Faustregeln, die den Entscheidungsprozess erleichtern. Diese Heuristiken können jedoch zu einer Verzerrung in der Wahrnehmung oder im Handeln in einer Situation führen. Ein Beispiel ist das Framing: Dieses besagt, dass der Kontext einer Aussage deren Interpretation beeinflusst. Ein Medikament, auf das die Patienten in 70 Prozent der Fälle ansprechen, erscheint wirksamer als jenes, das in 30 Prozent keine Wirkung zeigt.

Ein weiteres Beispiel ist der Besitztum-Effekt: Kostenlose Testversionen von Software machen sich diesen Effekt zunutze. Nach dem Ablauf des Testmonats haben User (im Falle eines ­Streamingdienstes) vielleicht schon eine ganze Musiksammlung aufgebaut. Diese User sind im Gegensatz zu «Neukunden» eher bereit, mehr zu bezahlen, um «ihr» Produkt nicht zu verlieren. Stand heute kennt die Verhaltensökonomie hunderte solcher Effekte, die als kognitive Verzerrungen (engl. cognitive biases) bekannt sind.

Der kleine Stupser in eine bestimmte Richtung

Methoden und Massnahmen, die das Verhalten von Menschen in eine bestimmte Richtung lenken, werden «Nudges» genannt, was im Deutschen so viel wie «Stupser» bedeutet. Die Massnahmen sind meist niederschwellig. Zum Beispiel das Setzen von Standard­optionen bei einem digitalen Formular, um die Wahl dieser Optionen wahrscheinlicher zu machen. Dieser und andere Nudges begegnen uns täglich, sei es im Supermarkt (Ampelsystem bei Lebensmitteln), in der Kantine (vegetarische Option optisch hervorheben) oder auf der Strasse (Smileys bei Tempo­limit-Anzeigen).

Wer Nudging einsetzen will, muss genaue Zielvorgaben definieren und mittels verhaltensökonomischer Experimente evaluieren, welche Massnahmen die gewünschte Wirkung erzielen. Ausserdem ist es essenziell, dass Nudges die Zielgruppe motivieren, ohne Zwang auszuüben oder alternative Verhaltensweisen zu bestrafen. Ansonsten können Nudges auch den gegenteiligen Effekt bewirken.
 

«Wir schaffen eine Win-win-Situation – für User und Unternehmen.»

Wir Ergonomen sind Experten in Sachen Usability, User Experience und Verhaltensökonomie. Wie man ein besseres Nutzererlebnis schafft und zugleich Benutzer motiviert, das «Richtige» zu tun, erklärt Gian-Luca Gubler, Consultant bei den Ergonomen.

(Interview aus Artikel in Netzwoche)

Wie bringen Sie Verhaltensökonomie in ein Projekt ein, bei dem es darum geht, das Nutzererlebnis zu optimieren?

Gian-Luca Gubler: Zuerst definieren wir mit dem Kunden das Zielverhalten der User. Das Zielverhalten ist jenes Verhalten von Usern, das auf die Ziele eines Unternehmens einzahlt und wir zu fördern versuchen. Ein gut gewähltes Zielverhalten steht im Einklang mit den Nutzerbedürfnissen und dem angestrebten Tun der User. Jüngst haben wir für ein Unternehmen einen Registrierungsprozess optimiert, den User entweder über eine App oder auf einer Website durchführen können. Das oberste Ziel aus Sicht des Unternehmens war, möglichst viele Registrierungen zu generieren. Das untergeordnete Ziel war, möglichst viele User auf die App zu leiten, da in der App viele Prozessschritte automatisiert werden können, die sonst operativen Aufwand für das Unternehmen erzeugen. Das Zielverhalten lautete somit: User sollen sich für den Service registrieren, und zwar bevorzugt in der App. Notabene bot der Registrierungsprozess in der App nicht nur dem Unternehmen Vorteile, sondern auch den Usern. Denn durch die Automatisierung verschiedener Schritte wurde ein Prozess, der sonst anstrengend und langwierig sein kann, vereinfacht und beschleunigt. Das Projekt stand also ganz im Einklang mit dem Ziel der Verhaltens­ökonomie: Entscheidungen für User vereinfachen und dabei auf Unternehmensziele einzahlen. Wir schaffen eine Win-win-Situation für User und Unternehmen.

Weshalb dann nicht nur die Registration per App anbieten?

Grundsätzlich ging es darum, User ins Zentrum zu stellen und jeder Person jenen Registrationsprozess anzubieten, der ihre oder seine Bedürfnisse abdeckt. Ein Beispiel: Personen, die nicht so digital affin sind, würden sich eher gar nicht registrieren, anstatt zuerst eine App herunterzuladen. Deshalb war es wichtig, alternative Registrationsmöglichkeiten anzubieten.

Wie gingen Sie vor?

Wir kreierten eine vorgelagerte «Weichen-Seite». Dort konnten User zwischen den beiden Registrierungsprozessen auswählen. Um herauszufinden, wie wir User am wirksamsten in Richtung App-Download stupsen können, haben wir ein Experiment durchgeführt. Dazu kreierten wir verschiedene Versionen der Weichen-Seite und testeten mit hunderten von potenziellen Usern, mit welcher Variante wir das Zielverhalten am besten fördern können. Die getesteten Versionen unterschieden sich in ganz bestimmten Eigenschaften, die nachweislich einen Einfluss auf das Entscheidungsverhalten in solchen Situationen haben.

Wie sah die Lösung aus?

Der Weg zum Erfolg bestand darin, User sanft in Richtung App zu stupsen – das ist die Herausforderung beim Nudging. Aus der Verhaltensökonomie ist bekannt, dass Menschen grundsätzlich dazu tendieren, Standardoptionen zu wählen, denn dies zu tun, erfordert keinen grossen Denkaufwand und keine zusätzlichen Handlungen. Ausserdem gehen wir als User davon aus, dass die Standardoption aus gutem Grund gewählt ist. In einer digitalen Benutzeroberfläche lassen sich Standards mittels «Radio-Buttons» implementieren. Auf einem Screen mit einer Radio-Button-Auswahl müssen User zuerst eine Auswahl zwischen verschiedenen Optionen treffen, um danach im Prozess fortfahren zu können. Wenn nun eine Option standardmässig vorausgewählt ist und User die Auswahl bei dieser Option belassen, entfällt ein Klick und sie müssen nur noch «weiter» klicken, was den Aufwand für User deutlich reduziert. Nebst dem Setzen der Standardauswahl auf dem Zielverhalten listeten wir auch die Vorteile der App gegenüber dem alternativen Prozess prominent auf. So erkannten User auf einen Blick, dass der Download der App den Registrierungsprozess für sie vereinfacht und beschleunigt. Auf diese Weise wurden User leicht in Richtung App gestupst. Leicht, weil Usern trotzdem klargemacht wurde, dass sie die Wahl zwischen zwei, wenn auch nicht ganz gleichwertigen, Optionen haben. Dieser Ansatz zahlte sich aus: Im Vergleich zu den anderen Varianten, die User stärker stupsten, führte die Variante zu den meisten Registrierungen und zu den meisten App-Downloads.

 

Bild: olaser/iStockphoto.com

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Gian-Luca Gubler, MSc, Consultant

Consultant

Gian-Luca Gubler is a UX & Usability Consultant at Ergonomen. With a background in cognitive science and human-computer interaction, he uses different methods to understand how users interact with products and how to make those interactions better. Gian-Luca works with clients from various industries, analyzing user needs, creating solution ideas, implementing them as interactive prototypes and evaluating user interfaces through testing. He excels in research design, statistical analysis, and listening to users. With a focus on design thinking, he finds creative solutions to user problems.

Sandro Zuppiger, MSc, Consultant

Consultant

Holding a master’s degree in Behavioral Economics from the Erasmus School of Economics in Rotterdam, Sandro Zuppiger complements The Ergonomen with his interest in human behavior and behavior change. With his background in marketing, strategy and communication, Sandro Zuppiger concentrates on the area of behavioral economics, business development, and marketing. He likes to spend his free time in nature and enjoys playing music.

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